DIE WELT, v
Die Pläne des umtriebigen Thomas Hengelbrock
mit Alter Musik und vielen jungen Künstlern aus der ganzen Welt.
Thomas Hengelbrock wirkt befreit und voller Tatendrang. Neue Pläne bewegen und motivieren ihn unmittelbar nach seinem Abschied als Chef des NDR Elbphilharmonie Orchesters zum Saisonende. Ein neues festes Engagement strebt der Maestro, der seine beiden Wohnungen weder in Hamburg noch in Paris aufgeben möchte, zur Zeit gar nicht an. Sicher ist aber, dass er sein Engagement für das vor 28 Jahren gegründete Balthasar-Neumann-Ensemble und den Balthasar-Neumann-Chor sukzessive verstärken wird. Dies auch in Hamburg, wo Hengelbrock und seine Spezialistenensembles für historische Aufführungspraxis am liebsten regelmäßiger auftreten würden. Orte, an denen man das tun könnte, gäbe es ja genug in der Hansestadt, meint Hengelbrock – und denkt dabei auch an Kampnagel. Wie geeignet dieser Ort allein für die Barockoper ist, hatte er unter anderem mit einer Produktion von Henry Purcells „Dido and Aeneas“ beim Musikfest Hamburg ja schon einmal gezeigt.
„Wir pendeln zwischen Paris und Hamburg seit zwei Jahren“, sagt der mit der ehemaligen Burgtheater-Schauspielerin Johanna Wokalek verheiratete Dirigent und Familienvater. „Hamburg bleibt mein Wohnsitz, hier haben wir einen Großteil unserer Büros und viele Freunde.“ Neue Freunde sind für Hengelbrock aber auch aus weiter Ferne hinzugekommen. Mit großer Intensität betreut der Dirigent und leidenschaftliche Pädagoge im kubanischen Havanna das Habana Lyceum Orchestra sowie die Studenten des Instituto Superior de Arte Havanna. Im Rahmen von jährlich sechs Arbeitsphasen, die jeweils zehn Tage dauern, vermittelt er jungen Musikerinnen und Musikern Spieltechniken Alter Musik, aber auch den Umgang mit Avantgardemusik. „Die Neue Musik konnte sich in diesem sozialistischen Land ja nicht so entwickeln wie anderswo“, weiß Hengelbrock.
Auf diesen Aktivitäten lässt es der umtriebige Dirigent aber keineswegs beruhen. Einzelne Mitglieder des vom Lyceum Mozarteum in Havanna geförderten Orchesters lädt er zur Mitwirkung bei Konzerten des Balthasar-Neumann-Ensembles ein. Auch bei dem Projekt „Schubert & Schumann“ vom SHMF waren eine Reihe junger kubanischer Musiker beteiligt. Etwa die Geigerin und Komponistin Jenny Peña Campo Field. Sie hat im Auftrag des Rheingau Musik Festivals eine „Suite Cubana“ geschrieben hat, die am 1. September 2017 im Rahmen dieses Festivals mit der Cuban-European Youth Academy unter Leitung von Duncan Ward uraufgeführt wurde. Hengelbrock bringt dasselbe Stück am 23. September in der Zeche Zollverein in Essen im Rahmen der Ruhrtriennale ebenfalls zur Aufführung.
Bei diesem vom Balthasar-Neumann-Chor & -Solisten und dem Cuban-European Youth Orchestra gemeinsam gestalteten Programm steht außerdem die Uraufführung des Stücks „Maria. Eine Vertreibung für Sprecherin, Sprecher, vier Herrensoli, Chor und Orchester“ des in Hamburg geborenen Komponisten Jan Müller-Wieland auf dem Programm. In diesem Melodram – Hengelbrock hat schon eine ganze Reihe von Melodramen Müller-Wielands unter anderem mit Klaus Maria Brandauer als Sprecher zur Uraufführung gebracht – bezieht sich der Komponist sowohl auf Erfahrungen aus Jean-Luc Godards Film „Je vous salue, Marie“ als auch auf José Saramagos Roman „Das Evangelium nach Jesus Christus“. „Thomas Hengelbrock schlug vor“, erzählt Müller-Wieland, „das Orchester genauso zu besetzen wie Robert Schumann in seinen Faust-Szenen. Daher gibt es kein Schlagzeug. Keinen Schmuck! Nur Pauken! Bachs königliches Thema, das Thema regium aus dem ‚Musikalischen Opfer‘ hat mich beim Schreiben die ganze Zeit angestachelt.“
Die von Hengelbrock gestaltete Unterricht bei der Cuban-European Youth Academy ist breit angelegt. „Die jungen Leute aus Kuba und Europa bekommen eine fachspezifische Ausbildung. Sie lernen aber auch was über Musikrecht, Programmgestaltung und wie man sich selbst managen kann.“ Das Balthasar-Neumann-Ensemble, bei dessen Projekten sie vereinzelt mitwirken dürfen, hat viele Mitglieder aus Spanien und Frankreich, die sprachlich helfen können. „Es ist etwas Herzbewegendes in dieser Gruppe“, schwärmt Hengelbrock, „und ein ungeheurer Respekt voreinander. Die Musiker gehen sehr liebevoll miteinander um.“
Gäste im Balthasar-Neumann-Ensemble kommen aber keineswegs nur aus Kuba. Auch Michael Gieler, der Solobratscher des Royal Concertgebouw Orkest in Amsterdam, musiziert regelmäßig bei den Konzerten von Hengelbrocks Lieblingsensemble. „Er macht hier mit, weil er es einfach mag“, sagt Hengelbrock, der seine Beziehungen zu dem niederländischen Spitzenorchester von nun an weiter intensivieren wird. Am 22. März 2019 veranstaltet das Concertgebouw Orkest im Konzerthaus Dortmund sogar ein Porträtkonzert für Hengelbrock mit Werken von Schubert und dem Stück „Soie“ für Flöte und Orchester von Lotta Wennäkoski.
Am 28. November sind Hengelbrock und die Balthasar-Neumann-Ensembles in der Laeiszhalle mit dem Projekt „Weihnachten mit Klaus Maria Brandauer“ zu hören. Zu Musik von Bach, Mendelssohn und Reger setzt Brandauer mit nachdenklichen, aber auch witzigen oder tröstlichen Texten von Rilke, Trakl und Zweig einen Kontrapunkt.